Predigt zu Invocavit, 09.03.2025: „Rette mit, wer kann!“

Es gilt das gesprochene Wort. Diese Predigt ist auch als PodPredigt eingesprochen worden.

Die Jünger geraten in einen Sturm und fürchten ihr Leben –
doch Jesus ist mit ihnen im Boot.
Wem vertrauen wir, wenn die Wellen hochschlagen?

PodPredigt
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#195 09.03.2025 Rette mit, wer kann!
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Wir hören die Lesung aus dem Lukasevangelium im 8. Kapitel.

Es begab sich an einem der Tage,
dass Jesus in ein Boot stieg mit seinen Jüngern;
und er sprach zu ihnen:

Lasst uns ans andere Ufer des Sees fahren.

Und sie stießen vom Land ab.
Und als sie fuhren, schlief er ein.

Und es kam ein Windwirbel über den See
und die Wellen überfielen sie,
und sie waren in großer Gefahr.

Da traten sie zu ihm
und weckten ihn auf und sprachen:

Meister, Meister, wir kommen um!

Da stand er auf und bedrohte den Wind
und die Wogen des Wassers,
und sie legten sich und es ward eine Stille.

Er sprach aber zu ihnen:
Wo ist euer Glaube?

Sie fürchteten sich aber und verwunderten sich
und sprachen untereinander:

Wer ist dieser, dass er auch dem Wind
und dem Wasser gebietet
und sie sind ihm gehorsam?


Liebe Hörerin, lieber Hörer,

„Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“ 

Dieser Satz der Theologin und Aktivistin Sandra Bils ist so einfach wie radikal.
Er steht ohne Relativierung. Ohne Wenn und Aber. Ohne Zusatz. 

Er beschreibt eine Selbstverständlichkeit, die wir doch immer wieder in Frage stellen. Darf es sein, dass mitten in Europa, heute im Jahr 2025, Menschen sterben, weil wir sie nicht retten? Weil wir es zulassen? 

Heute stehen wir am Beginn der Passionszeit – einer Zeit des Leidens und der Entscheidung. Es ist eine Zeit, in der wir nicht nur das Leiden Christi bedenken, sondern auch das Leiden unserer Mitmenschen. 

Es ist eine Zeit, in der wir gefragt sind: Bleiben wir passiv oder handeln wir?

Es gibt eine Wahlwerbung der PARTEI für die Europawahl 2019, in der eindrücklich gezeigt wird, wie lange Ertrinken dauert: 

Ein Junge, vielleicht zehn oder elf Jahre alt, kämpft verzweifelt im Wasser. Seine dunklen Haare kleben nass an seiner Stirn, die rote Trainingsjacke ist schwer von der Feuchtigkeit. 48 Sekunden lang ringt er gegen die Wellen, tritt, strampelt, zieht sich nach oben – doch die Kräfte schwinden. 

Dann ein letzter Atemzug, eine große Luftblase steigt auf, sein Blick erstarrt, sein Körper wird schwer, und er gleitet aus dem Bild. Die Kamera taucht auf, zeigt das unendliche Blau des offenen Meeres. Eine verlassene Rettungsweste treibt einige Meter weiter. 

Schließlich erscheint der Schriftzug: „Ertrinken dauert so lange wie dieser Film“ – eine Minute und 22 Sekunden. 

Dieser Film zeigt in erschreckender Klarheit, wie konkret die tödliche Realität auf dem Mittelmeer ist. Ertrinken ist keine abstrakte Gefahr, keine ferne Möglichkeit – es ist eine grausame Realität. Und doch ist sie vermeidbar. 

Die Bilder machen deutlich: Es geht nicht um Zahlen, sondern um Menschenleben. Menschen, die Hoffnung hatten, die einen Ausweg suchten – und die stattdessen im Wasser ihr Leben verlieren. 

Diese Realität verlangt eine Antwort von uns.


Die Bibel zeigt uns, dass Angst und Unsicherheit keine neuen Erfahrungen sind. 

Die Jünger sind auf dem See, und ein Sturm zieht auf. Sie haben Angst, sie rufen nach Jesus: „Meister, Meister, wir kommen um!“ Ihre Panik ist greifbar. Sie fühlen sich hilflos. Und Jesus? Er steht auf, bedroht Wind und Wellen – und es wird still. Dann fragt er: „Wo ist euer Glaube?“

Ein Sturm zieht auf. Auch heute. Menschen fliehen vor Krieg, Hunger, Gewalt, Klimakatastrophen. Sie setzen ihr Leben aufs Spiel, weil sie keine andere Wahl haben. Sie steigen in Boote, die kaum seetüchtig sind. Sie hoffen auf Rettung. Und oft kommt sie nicht. Die Wellen schlagen über ihnen zusammen. Ein Windwirbel – und sie verschwinden. Der Sturm auf dem Mittelmeer tobt weiter. Und wir? 

Der Sturm des Lebens trifft nicht nur diejenigen, die fliehen. Auch wir stehen im Wind – im Wind der politischen Debatten, der gesellschaftlichen Verantwortung, der moralischen Entscheidung. 

Aber wir stehen nicht nur darin – wir sind ein Teil davon. Wir leben in einem System, das Flucht verursacht: Durch unseren Lebensstil, der Ressourcen verbraucht, die anderswo fehlen. Durch politische Entscheidungen, die wir mittragen oder ignorieren. Durch eine Wirtschaftsordnung, die Ungleichheit vertieft und Lebensgrundlagen zerstört.

Wie verhalten wir uns? Bleiben wir tatenlos oder stehen wir auf gegen diesen Sturm? Bleiben wir in der bequemen Distanz oder erkennen wir, dass unser Wohlstand, unsere Sicherheit, unsere Privilegien auf den Schultern derer ruhen, die keine Wahl haben, als zu fliehen? 

Glaube heißt nicht nur, zu beten, sondern auch zu handeln – als Menschen, die Verantwortung tragen und denen es nicht egal sein darf, wer im Sturm untergeht.


Psalm 91 verspricht: „Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ 

Das klingt nach Schutz und Geborgenheit. Doch was bedeutet dieser Psalm für diejenigen, die ertrinken? Hat Gott seine Engel vergessen? Oder hat er sie gesandt – und wir sind nur nicht gefolgt? 

Dieser Psalm soll uns nicht in eine falsche Sicherheit wiegen. Er ruft uns vielmehr zur Verantwortung: Wenn Gott seine Engel sendet, dann auch durch unsere Hände.

Gott ist auf der Seite der Fliehenden, der Bedrängten, der Ertrinkenden. Die Bibel ist voll von Geschichten, in denen Gott sich den Entrechteten zuwendet – den Sklaven in Ägypten, den Vertriebenen im Exil, den Unterdrückten, denen keine Zuflucht gewährt wird. 

Unser Glaube fordert uns nicht auf, neutral zu bleiben oder unser Nichtstun zu rechtfertigen. Er stellt uns auf die Seite derer, die nach Rettung rufen.

Wir sind es, die unser Handeln oder Nicht-Handeln begründen müssen – nicht die Menschen, die aus Verzweiflung fliehen. Gott fragt nicht die Ertrinkenden, warum sie ins Boot gestiegen sind. 

Er fragt uns, warum wir sie nicht retten.
Er fragt uns, warum wir unsere Grenzen schließen,
warum wir in unseren Diskussionen die Würde des Menschen in Frage stellen,
warum wir in unserer Bequemlichkeit versinken,
während andere buchstäblich untergehen.

Es ist nicht unser Glaube, der sich verteidigen muss, wenn wir helfen.
Es ist unser Glaube, der ins Wanken gerät, wenn wir es nicht tun.


Kebba stammt aus Gambia, einem Land, das bereits jetzt stark unter den Folgen der Klimakrise leidet. Die Böden vertrocknen, die Lebensgrundlagen verschwinden. Eines Tages bricht ein Feuer aus und zerstört das letzte Weideland. Die Schuld wird ihm gegeben, sein Leben ist in Gefahr. Er sieht keinen anderen Ausweg als die Flucht. 

Mit 115 anderen steigt er in ein überfülltes Boot, in der Hoffnung, Europa zu erreichen. Nur 80 Menschen überleben die Überfahrt. Viele seiner Mitreisenden ertrinken.

Was geschieht hier? Ist es einfach Schicksal? Ein Unglück ohne Ursache? Nein. Kebbas Geschichte ist die direkte Folge menschlicher Entscheidungen: Politischer Abschottung, unterlassener Hilfeleistung, globaler Ungerechtigkeit. Menschen ertrinken nicht, weil das Meer grausam ist – sondern weil wir es zulassen.

Kebba ist kein Einzelfall. Weltweit sind Millionen von Menschen auf der Flucht. Frauen, Männer, Kinder. Menschen, die ihre Heimat verlassen, weil sie keine andere Wahl haben. Menschen, die alles aufgeben müssen, weil ihr Zuhause unbewohnbar wurde – durch Krieg, durch Diktaturen, durch Umweltkatastrophen. 

Sie suchen keine Abenteuerreise, sondern ein Stück Sicherheit, ein Stück Hoffnung. Und allzu oft endet diese Hoffnung in den Wellen des Mittelmeers.


„Rette mit, wer kann“ – das ist der Auftrag.
Nicht wegsehen, sondern handeln. Wir können:

  • Spenden: Organisationen wie United4Rescue brauchen Unterstützung. Jede Spende hilft, ein weiteres Rettungsschiff auf den Weg zu bringen. Mehr Informationen dazu findest du unter www.united4rescue.org.
  • Wählen: Parteien, die Fluchtursachen bekämpfen, statt Grenzen abzuschotten.
  • Engagieren: In der Flüchtlingshilfe, in politischen Initiativen, im Gespräch mit unseren Mitmenschen.
  • Bildung fördern: Je mehr wir über Fluchtursachen, über globale Zusammenhänge wissen, desto klarer erkennen wir unsere Verantwortung.
  • Bewusstsein schaffen: Wir können in unseren Gemeinden, in unseren Familien, in unseren Freundeskreisen darüber sprechen. Reden allein reicht nicht – aber es ist ein Anfang.

United4Rescue setzt sich für die zivile Seenotrettung ein und hat bereits mehrere Schiffe mitfinanziert, die Tausende von Menschen vor dem Ertrinken bewahrt haben. Das Bündnis aus fast 1.000 Partnerorganisationen macht deutlich: Seenotrettung ist eine humanitäre Verpflichtung. Schließen wir uns an und tragen wir diese Botschaft weiter.


Dabei hilft mir das Motiv des Rettungsrings. Er steht dafür, dass jeder von uns ein Teil der Rettung sein kann. Er ist ein Symbol der Hoffnung – und eine Verpflichtung. Ein Rettungsring bedeutet: Jemand hat vorgesorgt, damit ein anderer nicht untergeht. Es ist ein Zeichen der Wachsamkeit, der Verantwortung, des Handelns.

Immer wenn ich einen Rettungsring sehe, erinnere ich mich daran: Ich kann etwas tun. Ich kann mich entscheiden, nicht wegzusehen. Er ist eine Mahnung und eine Ermutigung zugleich. Der Wind ist stark. Die Wellen hoch. Aber wir können retten.


Ich höre Kebbas Geschichte und spüre Wut. Wut über die Ungerechtigkeit. Aber auch Erleichterung, dass er es geschafft hat. Heute lebt Kebba in Deutschland. Er hat einen Traum: Er möchte Maler werden. Häuser und Wände streichen, ein Handwerk ausüben, das ihm Sicherheit und eine Zukunft gibt.

Meine Praktikantin Finja hat sich dazu ebenfalls Gedanken gemacht. Sie sagt: 

„Ich fühle mich etwas seltsam, wenn ich das höre, und es ist schwer, sich das vorzustellen. Mich beeindruckt, dass man in so einer Situation noch gute Gedanken haben kann. Ich wünsche ihm, dass er ein gutes Leben hat und Maler werden kann.“

Mich lässt diese Frage nicht los: Was macht es mit uns, wenn wir wissen, dass wir Teil eines Systems sind, das diese Schicksale mitverursacht? 

Was ist mit den anderen? Wie viele Kebbas sind nicht angekommen? Und wie viele werden noch aufbrechen? Unser Glaube, unsere Menschlichkeit, unsere Verantwortung – sie werden in diesem Sturm geprüft. Lassen wir niemanden untergehen.


Gott stellt sich auf die Seite der Ertrinkenden. Er ist der, der ruft: „Warum habt ihr Angst? Wo ist euer Glaube?“ Doch die Frage trifft nicht die in Not, sondern uns. Sind wir bereit, zu handeln? Sind wir bereit, unseren Glauben in Taten zu verwandeln? 

Es gibt keine neutrale Position – wir entscheiden mit, ob Menschen leben oder sterben. Der Sturm ist real. Die Gefahr ist real. Aber auch unsere Möglichkeit, zu retten, ist real. Nehmen wir das ernst und machen wir uns bereit, Verantwortung zu übernehmen. 

Nicht irgendwann, sondern jetzt.
Nicht aus Pflicht, sondern aus Überzeugung. 

Rette mit, wer kann!

Amen.


Mehr Infos zur Seenotrettung von United4Rescue findest du hier: https://united4rescue.org/

Spendenkonto:

United4Rescue – Gemeinsam Retten e.V.
IBAN: DE93 1006 1006 1111 1111 93
BIC: GENODED1KDB
Bank für Kirche und Diakonie eG – KD-Bank

Vielen Dank!

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