„Bin ich’s?“ – Predigt zum Gründonnerstag, 14.04.2022
R01
Liebe Hörerinnen und Hörer!
Alles ist vorbereitet.
Die Jünger haben viel Aufwand getrieben,
um den perfekten Abend vorzubereiten.
Zusammensitzen mit Jesus.
Gemeinsam essen und mit ihm sprechen.
Das ist immer wieder ein Highlight.
C02
Doch dieses abendliche Mahl,
dieses Abendmahl, soll ein anderes werden.
Jesus und die Jünger sitzen und essen.
Da spricht Jesus eine unangenehme Wahrheit aus.
Wir hören die Lesung aus dem Markusevangelium im 14. Kapitel.
R03
Und am Abend kam er mit den Zwölfen.
Und als sie bei Tisch waren und aßen, sprach Jesus:
Wahrlich, ich sage euch:
Einer unter euch, der mit mir isst,
wird mich verraten.
C04
Und sie wurden traurig und fragten ihn,
einer nach dem andern:
Bin ich’s?
R05
Er aber sprach zu ihnen:
Einer von den Zwölfen,
der mit mir seinen Bissen
in die Schüssel taucht.
Der Menschensohn geht zwar hin,
wie von ihm geschrieben steht;
weh aber dem Menschen,
durch den der Menschensohn
verraten wird!
Es wäre für diesen Menschen besser,
wenn er nie geboren wäre.
C06
„Bin ich’s?“ – Jesus wurde verraten und verkauft.
Verkauft für 30 Silbermünzen,
das ist sein Leben wert.
Heute wären diese Münzen
10.000 Euro wert.
Davon könnte man
einen Kleinwagen kaufen.
Und dennoch eine kleine Summe
für ein großes Leben.
R07
Einer aus der Runde ist nun sehr einsam.
Er weiß, dass er nicht mehr dazugehört.
Es ist Judas.
Was mag ihm durch den Kopf gehen?
***
C08
Am Tisch des Herrn.
Ein Raum, ganz allein für uns.
„Geschlossene Gesellschaft“
steht draußen an der Tür.
Die Gäste am Tisch: Handverlesen,
sie sind geladen oder soll ich sagen:
wir sind gefunden?
Übervoll.
Der Tisch ist es nicht,
die Speisen sind einfach.
Übervoll.
Mein Herz, so viel habe ich mit ihm erlebt.
Jesus steht auf, er öffnet den Mund.
Wie ein Blitz schlagen seine Worte
in mein Herz:
„Einer unter euch, der mit mir isst,
wird mich verraten.“
Wie er mich dabei anschaut.
Dabei wird es mir heiß und kalt zugleich.
Meine Feierlaune ist verflogen.
Ich bin damit nicht allein.
Unruhe bricht aus, alle Gäste sind besorgt.
R09
(Die Frage kannst du gerne zunehmend „dringlicher“ stellen.)
„Bin ich’s…?“
C10
Ich zweifle an mir selbst.
Soll ich alles auf’s Spiel setzen?
Will ich den Weg mit ihm so beenden?
Werde ich es tun?
Was mache ich hier eigentlich?
Hier an dem Tisch, gemeinsam mit Jesus?
Bin ich hier falsch, gehöre ich nicht dazu,
zerstöre ich sein Vertrauen?
Wo ist mein Vorteil?
R11
„Bin ich’s?“
C12
So ist es halt,
Jesus schenkt uns reinen Wein ein.
Aber ich doch nicht.
Ich stehe zu ihm, komme was wolle.
Oder doch nicht?
R13
„Bin ich’s?!“
C14
Ich bin auf meinem Weg.
Was ich begonnen habe,
lässt sich jetzt nicht mehr aufhalten.
Oder kann mich Jesus noch einholen?
Will ich das wirklich tun?
Jesus wird sterben.
Ich habe ihn verraten.
R15
„Bin ich’s?!!“
C16
Niemand geht.
Jesus wirft niemanden raus.
Er sagt nicht, wer es ist.
Dass ich es bin.
Alle blicken um sich:
R17
„Bin ich’s?!“ – oder doch der da!
C18
Wer schaut schuldig?
Brennt meine Wange?
Sieht man meine Gier?
Sieht er meine Selbstsucht?
***
R19
In dieser Geschichte vom letzten Abendmahl
schwingen Erfahrungen von Verrat
aber auch von Zuversicht mit.
Die Geschichte von Judas ist wie ein Krimi.
Und trotzdem wissen wir auch,
dass dem Verrat zwar der Tod Jesu folgt,
die Geschichte aber auch
eine gute Wendung haben wird.
Lasst uns in einem Moment der Stille
solchen Erfahrungen von Verrat
und zugleich Versöhnung Raum geben.
Sie betrachten und sie auch wieder loslassen.
– Stille –
***
C20
Am Tisch des Herrn.
Jesus macht weiter.
Niemand muss gehen.
Niemand wird hier angeprangert.
Eins ist aber klar:
Einer der Anwesenden ist es.
Alle bleiben am Tisch.
Dort sind die Dinge,
die Jesus für das Leben einsetzt:
Brot und Wein.
Voll ist der Tisch,
er wird gefüllt mit Jesu Gefährten.
Menschen, denen er auf seinem Weg vertraut hat.
Der Verrat steht im Raum,
die Feier wird nicht abgesagt.
Gemeinsam essen alle von dem Brot.
Gemeinsam trinken alle aus dem Kelch.
Niemand wird ausgeschlossen,
auch der Verräter nicht.
Verrat und Enttäuschung
sind wie eine Wüste,
die gewonnenes Vertrauen trocken legt
und Liebe ausdörrt.
Jesus ist dieser Trockenheit
und Lieblosigkeit ausgesetzt.
Der Verrat eines Menschen,
dem er vertraut hat,
wird sein Leben beenden.
R21
Trotzdem kündigt Jesus
die Gemeinschaft nicht auf.
Er verflucht den Menschen,
der ihn verraten hat,
aber Jesus macht weiter.
Jesus hat Vertrauen in seine anderen Jünger.
Trotzdem weiß er:
Sie werden im Angesicht seines Todes versagen.
Jesus blickt über sich selbst hinaus,
er schenkt uns sein Leben,
ja, er ist das Leben.
An seinem letzten Abend schenkt Jesus reinen Wein ein.
Wahrheit statt Schweigen,
klare Worte statt Flucht.
Alles liegt offen auf dem Tisch:
Der Verrat, die Selbstzweifel der Jünger,
Brot und Kelch.
Alle sind geladen an den Tisch des Herrn.
Jesus teilt das Brot, er teilt den Wein,
er teilt sein ganzes Leben mit den Menschen.
Sein Tisch ist gedeckt, es reicht für alle,
die kommen.
Amen.