„Bloß nicht nach unten schauen!“ – Predigt über Matthäus 14,22-33

Am 29. April 2021 eröffnet die weltweit längste Fußgänger-Hängebrücke.
Sie befindet sich in der Nähe des kleinen Ortes Arouca in Nordportugal.

Schon am Eröffnungstag kommen einige mutige Anwohnerinnen und Anwohner zu der neuen Brücke. Einer von ihnen ist der 42-jährige Hugo Xavier.

PodPredigt
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#003 06.02.2022 Bloß nicht nach unten schauen!
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„Okaaaay, Auf geht’s” spricht er zaghaft zur Reporterin von Reuters. Er und seine ebenfalls sehr aufgeregte Begleitung sowie ein Guide betreten gemeinsam die 516 Meter lange Brücke. Der Boden besteht aus durchsichtigen Metallplanken.

Versteckt zwischen felsigen Bergen, die mit üppigem Grün und gelben Blumen im UNESCO-anerkannten Geopark Arouca bedeckt sind, hängt die Brücke 175 Meter über dem schnell fließenden Fluss Paiva.

Die Landschaft ist ruhig, aber der Weg über die Hängebrücke ist nichts für schwache Nerven. Von Stahlseilen und zwei massiven Türmen auf jeder Seite gehalten, wackelt es bei jedem Schritt ein wenig.

„Ich hatte ein bisschen Angst, aber es hat sich so gelohnt“, sagt ein erleichterter Xavier auf der anderen Seite. „Es war außergewöhnlich, ein einzigartiges Erlebnis, ein Adrenalinkick.“

Nicht nach unten schauen – das ist eine alte Weisheit, nach der alle Seiltänzer*innen und Brückenbezwinger*innen leben. Nach unten schauen bedeutet zweifeln – und ohne Sicherung kann das gefährlich werden.

Dieser Gefahr wird in unserem heutigen Predigttext auch der Jünger Petrus bewusst. Von seinem Adrenalinkick berichtet der Evangelist Matthäus im 14. Kapitel:

Jesus drängte die Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe.

Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und am Abend war er dort allein.

Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen.

Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer.

Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht.

Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!

Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser.

Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu.

Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich!

Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?

Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich.

Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!

Matthäusevangelium 14,22-33

Liebe Hörerin, lieber Hörer!

Es ist keine angenehme Situation, in der sich die Jünger da in der Geschichte befinden. Sie haben einen langen Tag hinter sich. Jesus hat wieder viele Wunder gewirkt, zum Schluss fünftausend Menschen mit einem Speisewunder verköstigt.

Jesus braucht nun Zeit für sich allein, schickt seine Freunde in einem Boot auf den See hinaus. Er will jetzt beten. Ruhe haben.

Doch die Ruhe währt nicht lange. Die Jünger geraten in Seenot, das Boot scheint für diese Wellen nicht seetüchtig genug zu sein. Aus einer kleinen Überfahrt ans andere Ufer wird eine lebensbedrohliche Gefahr.

„Wo ist Jesus, wenn man ihn mal braucht?” Mögen sich die Jünger vielleicht fragen. Sie müssen nicht lange warten – Jesus kommt so schnell er kann. Zu Fuß. Auf dem Wasser. Mitten in der Nacht. Durch Sturm und Wellen.

Das haben die Jünger nicht kommen sehen. Sie fallen vor Angst fast in Ohnmacht. Seenot und Gespenster – das ist ihnen zu viel.

Dieses Gefühl von Überwältigung kennst du sicher auch. Diese Momente im Leben, wo du denkst: „Mir steht das Wasser bis zum Hals!”.

Sei es, dass eine wichtige Veränderung ansteht. Du Angst davor hast, was da kommt, weil du es nicht einschätzen kannst.

Sei es, dass dich Verpflichtungen überrollen. Dass du mit deiner Familie versuchst, durch die Belastungen von Corona zu kommen. Oder du bemühst dich, mit der Schule Schritt zu halten, die mal in Präsenz, mal zuhause, mal gar nicht stattfindet.

Oder du hast gerade einen Menschen verloren, den du liebst. Alles bricht zusammen, nichts ist mehr, wie es einmal war. Der Boden schwankt und du weißt nicht, woran du dich festhalten sollst.

Die Angst vor dem Neuen, vor dem Scheitern, vor dem Alleinesein – das ist wie eine stürmische See und auch das eine oder andere Gespenst lässt sich da blicken.

Da muss es doch einen Ausweg geben! Die Jünger scheinen ihn zu finden. Jesus kommt und schaut nach ihnen. Liebevoll spricht er sie an: „Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!”

Das Meer hört nicht auf zu toben. Dennoch schöpfen die Männer neuen Mut. Es war immerhin kein Gespenst, sondern ihr Freund Jesus.

Petrus ist der Typ „einfach mal machen”. Zumindest redet er so daher. Ist er von dem neuen Wunder, dass Jesus auf dem Wasser läuft, so beeindruckt? Oder ist das eine Übersprungshandlung, wenn er ruft:

„Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser.”

Ganz schön mutig, dieser Petrus. Er steigt aus dem Boot. Ein Sprung aufs kalte Wasser. Er geht einige Schritte auf Jesus zu. Läuft auf den Wellen, als ob er auf festem Boden wäre. Das zweite Wunder! Petrus kann’s also auch.

Mit dem „einfach mal machen” ist es wie beim Überqueren einer Hängebrücke. Solange man sich mutig auf den Weg zum Ziel macht, den Blick nach vorne richtet, ist da dieser Adrenalinkick, von dem man nach vorne getrieben wird.

Auch in den Zeiten, wo wir uns überlastet und bedrängt fühlen, passiert das. Selten blockiere ich schon beim allerersten Schritt. Meistens gehe ich in die neue Situation einfach hinein. Oder ich werde in sie hineingeschubst und laufe erstmal los. Das heißt, egal wie sich meine Lage später entwickelt, bin ich bereits einige Schritte gegangen. Auf festem Grund. Ohne Schwanken. Das finde ich interessant, weil sich das in der Rückschau oft ganz anders anfühlt.

Wie ist das bei dir?

(kurze Pause)

Machen wir uns nichts vor. Die ersten Schritte in einer schwierigen Situation mögen wir vielleicht noch mit einiger Selbstsicherheit oder konstruktiver Abgelenktheit gehen, ohne zu stolpern. Doch je mehr wir uns unserer neuen Lage bewusst werden, desto mehr spüren wir, wie die Welt um uns ins Schwanken gerät. Denn im Gegensatz zu einer Artistin oder einem Abenteuertouristen haben wir uns die meisten Krisen im Leben nicht ausgesucht. Und wenn dann erstmal die Wellen von Angst, Trauer, Panik oder Zweifel über uns zusammengeschlagen sind, dann ist der „Zauber, der im Anfang wohnt” verpufft.

Ist Petrus ein Abenteurer? Will er Jesus herausfordern? Zweifelt er an seiner Macht? Fordert er ein Zeichen? Wie groß oder wie klein ist sein Glaube? Wenn wir uns anschauen, wie die Geschichte weitergeht, bleibt nach einigen Schritten nicht mehr viel vom „einfach mal machen” Petrus übrig.

Petrus bekommt kalte Füße – im wörtlichen Sinne. Er sinkt in den Fluten ein. Irgendwie ulkig: Petrus sieht den ganzen Tag Wunder. Er ist dabei, wenn Jesus Menschen heilt, wenn sie zurück ins Leben, in die Gesellschaft integriert werden. Menschen stehen von den Toten auf, unzählige Menschen werden satt. Wenn nicht er, wer dann soll an die Wunder Jesu glauben können?

Und trotzdem holen ihn seine Zweifel ein. Er glaubt nicht mehr an die Realität, die er erlebt. Er spürt den starken Gegenwind seiner Vorbehalte und verliert den Halt.

Die Geschichte geht gut aus. Jesus hat es versprochen: „Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!” Jesus holt Petrus auf den Boden der Tatsachen zurück. Mit dessen plötzlicher „Panikattacke” hat Jesus offensichtlich nicht gerechnet. Aber er rettet Petrus trotzdem. Sie steigen in das Boot, die Wellen und der Sturm legen sich. Alles ist wieder ruhig.

Liebe Hörerin, lieber Hörer.

Es ist normal, dass dich mal der Glaube verlässt. Das passiert den besten Jüngern. Jesus lässt dich trotzdem nicht los. Er ist da. Er rettet. Er fängt dich auf.

Vielleicht sollten wir es deshalb öfter wie Petrus handhaben. „Einfach mal machen”, das Unmögliche ausprobieren. Vertrauen haben, dass Gottes gute Gegenwart auch in den schlimmsten Zeiten und schwersten Lebensstürmen bei uns ist.

Menschen, die durch schlimme Katastrophen mussten, wissen trotz Leid und Not davon zu berichten, wann ihnen Hilfe, Schutz und Zuneigung begegnet sind.

Vertrau auf Gott, geh den ersten Schritt, und wenn du auch zweifelst, Jesus geht mit dir mit. Er spricht: „Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!” Damit wir sagen können wie Xavier, der Brückenläufer: „Ich hatte ein bisschen Angst, aber es hat sich so gelohnt.”

Amen.

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